Juliusspital Münnerstadt
Eine Einrichtung der Carl von Heß Sozialstiftung Hammelburg

„Wenn ich 20 Jahre jünger wäre, würde ich für den Stadtrat kandidieren"

„Wenn ich 20 Jahre jünger wäre, würde ich für den Stadtrat kandidieren"

mp08032013Christine Müller berichtet im Erzählcafe des Juliusspitals Münnerstadt aus ihrem Leben

Artikel Mainpost vom 08.03.2013

Vor 15 Jahren hat das mittlerweile zu einer festen Institution gewordene Erzählcafe im Juliusspital in Münnerstadt seinen Anfang genommen. Nun lag es an Christine Müller, die 91. Veranstaltung mit dem Bericht über ihre „Lebensstationen: Lehr und Wanderjahre" zu gestalten.

75 Zuhörer hatten sich dazu im Saal des Hauses St. Michael eingefunden, darunter ein starkes Kontingent von Schülern des BBZ. Christine Müller, die 1938 im sächsischen Mittweida bei Chemnitz das Licht der Welt erblickt hatte, lebt seit 1968 in Münnerstadt. Sie ist hier vor allem wegen ihres vielfältigen politischen und sozialen Engagements bekannt.

Sie hatte zu ihrer Erzählstunde eine ganze Reihe Fotos mitgebracht, die das Erzählcafe zu einem Hör- und Seh-Erlebnis werden ließen.

Mit zwei Geschwistern war sie in ihrer Familie in der Leinen-, Baumwollweber und Färberstadt Mittweida aufgewachsen, besuchte die Schule und verlor ihren Vater während des Krieges. Zu Beginn der 50-er Jahre siedelte die Familie nach Bremen um, wo Christine Müller mit der in Ostdeutschland erlernten Fremdsprache Russisch nichts anfangen konnte und es nicht schaffte, die im Westen verlangten Fremdsprachenkenntnisse in Englisch schnell nachzuholen.

Auch der sächsische Dialekt führte bei den Mitschülern oft zu Hänseleien, so dass sie, meist schweigend, sich kaum am Unterricht beteiligte. Trotzdem bestand sie im Jahre 1955 die mittlere Reife. Danach begann eine Praktika-Odyssee in Sachen Hauswirtschaft, die sie quer durch Deutschland führte und ein neues Leben eröffnete, das Christine Müller prägte und ihr viel Spaß und Freude bereitete.

Anfangs war da ein großes Kinder-Kurhaus auf der Insel Sylt, in dem sie für die Zubereitung der Milchsuppe zuständig war, die jedoch anfangs immer wieder anbrannte – und das gleich in Mengen für 200 Kinder! Nächste Station war der Privathaushalt eines Theologie-Professors in Heidelberg, wo auch die Frauenfachschule mit dem Abschlussziel Hauswirtschafts-Leiterin besucht wurde. 1961 folgte eine weitere Ausbildung zur staatlich geprüften Diätassistentin in Münster. Im Anschluss daran eine Anstellung in Bad Wiessee. Hier galt es für die Sächsin, sich erneut mit Verständigungs- und Sprachproblemen auseinanderzusetzen, diesmal mit dem Bayerischen.

Nächster Arbeitsplatz war 1963 die große Hotelrestauration Schloß Elmau nahe Mittenwald. „Ich liebte mittlerweile Bayern wegen seiner schönen Landschaften. In diesem Hotel durfte ich die interessanteste Zeit erleben. Viele Begegnungen mit einer weltoffenem und gebildeten Klientel, die berühmten Elmauer Tanzabende – das war schon was Besonderes", schwelgt Christine Müller noch heute in Erinnerungen. Bei einem Bahnstopp in Erlangen, wo sie eine Bekannte besuchte, begegnete ihr dann der Mann fürs Leben, „weil der schon ein Auto hatte und die beiden Mädchen chauffieren konnte".

Doch vorerst stand noch ein Studium musisch-technische Fächer mit vier Semestern am pädagogischen Lehrinstitut in Kassel an. Eine erste Anstellung folgte in Zellhausen bei Seligenstadt, praktisch auch, weil der mittlerweile heimliche Verlobte Gerd Müller – Konfessionsunterschiede waren zu dieser Zeit noch problematisch – in der Nähe eine Anstellung hatte.

1966 fand die Hochzeit statt. „Das war blöd. Es war kalt und ich habe sehr gefroren im kurzen Brautkleid", erinnert sie sich. Nachdem 1968 Sohn Markus die Familie komplettierte, gab sie den Schuldienst auf. Im selben Jahr führte der Berufsweg des Vaters die junge Familie nach Münnerstadt. Hier kam 1970 ein Töchterlein dazu.

Trotzdem schaffte es Christine, Müller, von 1971 bis 1990 als Handarbeitslehrerin am Schönborn-Gymnasium tätig zu sein. 1990 gab sie den Schuldienst erneut auf und ging in die Politik. Sie wurde auf Anhieb für die SPD in den Bezirkstag gewählt, wo sie bis 2008 wirkte. Ab 1996 war sie auch Kreisrätin.

Zur Politik war Christine Müller zu Beginn der 80-er Jahre durch Ostermärsche und Demonstrationen gegen Aufrüstung gekommen. 1983 gründete sie mit Gleichgesinnten in Münnerstadt die Aktion „Frauen stiften zum Frieden an". 1984 trat sie der SPD bei.

„Wir stellten fest: Frauen können auch etwas tun. Und wir haben begonnen, uns in die Kommunalpolitik ein zu mischen. Wir haben auch viel mit und für Asylbewerber gearbeitet." Heute pflegt die siebenfache Oma ihre Hobbys, versucht, fit zu bleiben, unterstützt weiter die Tschernobyl-Hilfe des Kreisjugendrings, ist tätig bei „Aufwind", einem Verein für gemeindenahe Psychiatrie und im Mehrgenerationen-Netzwerk des Landkreises. „Wenn ich 20 Jahre jünger wäre, würde ich für den Stadtrat kandidieren", endete sie.
arno

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